3. Schnellbootgeschwader


Das 3. Schnellbootgeschwader wurde durch Aufstellungsbefehl Nr. 70 -Marine- vom 13. September 1957 zum 1. Oktober 1957 in Flensburg-Mürwik aufgestellt. Zum Geschwader zählten außer dem Tender RHEIN zehn Boote der Klasse 140 (JAGUAR-Klasse).

Das Geschwader nahm im Oktober 1958 erstmals an einem NATO-Manöver teil. Die wichtigsten Häfen, die während der Übungen und Manöver in außerheimischen Gewässern besucht wurden, waren La Pallice, Cherbourg, Brest und Lorient in Frankreich, Portland und Portsmouth in Großbritannien, in Norwegen Stavanger und Oslo sowie in Dänemark Kopenhagen. Später erfolgte die Umrüstung auf Boote der Klasse 148. Als Zwischenlösung entschied man sich im Herbst 1970, zwanzig Boote des Typs LA COMBATTANTE II bei der französischen Regierung zu bestellen. Jeweils zehn dieser unter der Typ-Klassenbezeichnung 148 bei der Marine eingeführten Boote waren für das 3. und 5. Schnellbootgeschwader vorgesehen. Dies hatte einen Austausch von Booten zwischen den beiden genannten Geschwadern zur Folge. Das 3. Schnellbootgeschwader übernahm dabei die Boote REIHER, WEIHE, PINGUIN und KRANICH vom 5. Schnellbootgeschwader und gab dafür die Boote WOLF, ILTIS, TIGER und LÖWE ab.

1972 begann dann die Umrüstung auf den neuen Bootstyp 148 mit Seeziel-Flugkörpersystem. S 41 TIGER war das erste Boot, das dem 3. Schnellbootgeschwader zugeteilt wurde. Mit Aufstellungsbefehl Nr. 220 -Marine- vom 6. April 1990 wurde zum 1. Juli 1990 eine Systemunterstützungsuntergruppe als selbständige Einheit des 3. Schnellbootgeschwaders eingerichtet.

Mit Wirkung vom 30. September 1998 wurde sie wieder aufgelöst (Organisations-Änderungsweisung Nr. 1/98 -Marine- für den Aufstellungsbefehl Nr. 70 –Marine- vom 24. November 1998). Das 3. Schnellbootgeschwader wurde 1997 aufgelöst.


Einheiten 3. Schnellbootgeschwader:

Klasse 140

Klasse 148

Tender Typ 401

Tender Typ 404

       
P 6058 ILTIS P 6141 S 41 TIGER A 58 RHEIN A 513 RHEIN
P 6059 JAGUAR P 6142 S 42 ILTIS    
P 6060 LEOPARD P 6143 S 43 LUCHS    
P 6061 LUCHS P 6144 S 44 MARDER    
P 6062 WOLF P 6145 S 45 LEOPARD    
P 6063 TIGER P 6146 S 46 FUCHS    
P 6064 PANTHER P 6147 S 47 JAGUAR    
P 6065 LÖWE P 6148 S 48 LÖWE    
P 6066 FUCHS P 6149 S 49 WOLF    
P 6067 MARDER P 6150 S 50 PANTHER    

 


Kommandeure 3. Schnellbootgeschwader:

Korvettenkapitän Haag, Heinz 10.1957 - 08.1959
Korvettenkapitän Wülfing, Bernhard 08.1959 - 01.1962
Korvettenkapitän Künzel, Karl-Friedrich 01.1962 - 03.1963
Fregattenkapitän Dobenecker, Günter 04.1963 - 09.1966
Korvettenkapitän Thäter, Klaus-Jürgen 10.1966 - 09.1968
Korvettenkapitän Kruse, Egon 10.1968 - 03.1971
Fregattenkapitän Meiburg, Hans 04.1971 - 01.1974
Fregattenkapitän Ehlert, Klaus 01.1974 - 03.1977
Fregattenkapitän Geier, Jürgen 04.1977 - 01.1979
Fregattenkapitän Jacobi, Kurt Harald 02.1979 - 03.1981
Fregattenkapitän Hecker, Klaus 04.1981 - (1984)
Fregattenkapitän Porrio, Günter (1984) - (1986)
Fregattenkapitän Poesze, J. (1986) - (1987)
Fregattenkapitän Krosigk von, F. W. (1988) - (1990)
Fregattenkapitän Kampschulte, L. (1991) - (1992)
Fregattenkapitän Houtrouw, K. E. (1993) - (1994)
Fregattenkapitän Mannhardt, J. (1995) - (1996)
Fregattenkapitän Weber, G. (1996) - (1998)

 

Quelle: http://www.bundesarchiv.de

 

 

"In bester Schußposition"

"Eine klare und gegenwärtige Gefahr" oder "Bedingte Abwehrbereitschaft" am Beispiel

des 3. Schnellbootgeschwaders während der Kuba-Krise 1962

 

Der Artikel ist erschienen im Sammelband, S. 85 - 99: Dimitrij N. Filippovych/Matthias Uhl, Vor dem Abgrund - Die Streitkräfte der USA und der UdSSR sowie ihrer deutschen Bündnispartner in der Kubakrise, Sondernummer Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, R. Oldenbourg Verlag, München 2005 und in gekürzter Fassung in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Oktober 2002 mit dem Titel: In bester Schußposition.
 

von Dr. Sigurd Hess


Die Kuba-Krise vom Oktober 1962 markiert den Höhepunkt des Kalten Krieges. Vierzig Jahre danach scheint über den Ablauf und die Ursachen alles gesagt zu sein. Allein, über die parallel dazu laufenden Ereignisse in Deutschland und die Beteiligung der Bundeswehr ist bezeichnenderweise so gut wie nichts bekannt

Rekapitulieren wir, wie alles anfing, zumal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die russischen Archive detaillierte Auskunft über die Planungen im Rahmen der sogenannten Operation "Anadyr" geben. Anadyr ist der Name einer Bucht im Nordosten Sibiriens wie auch der dort gelegenen Stadt und des dort mündenden Flusses. Der Sowjetführung aber diente er seinerzeit als Deckname für die Stationierung einer etwa 50.000 Mann starken, mit strategischen und taktischen Atomwaffen ausgerüsteten Kampfgruppe aus Heeres-, Luftwaffen- und Marineverbänden auf der Karibikinsel Kuba und den angrenzenden Gewässern. Diese Konfrontation zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR im "Hinterhof Amerikas" wurde augenblicklich von Präsident John F. Kennedy nicht nur als Herausforderung der amerikanischen Seemacht, sondern auch als eine Verschärfung der seit Jahren schwelenden Berlin-Krise verstanden. In seiner Fernsehansprache an die Nation und die Welt am Abend des 22. Oktober 1962 unterstrich er darum seine Entschlossenheit, angesichts der "klaren und gegenwärtigen Gefahr" wenn nötig militärisch einzugreifen: "Jedwede feindliche Bewegung, an welchem Ort der Erde auch immer, gegen die Sicherheit und Freiheit derjenigen Völker, denen wir verpflichtet sind - einschließlich und im besonderen der tapferen Bevölkerung von West-Berlin -, wird mit allen erforderlichen Aktionen begegnet werden." (1) Kuba befand sich zwar im Zentrum der Auseinandersetzung, doch der Aufmarsch erfolgte über See und zwar durch die Meerengen der Ostsee, des Schwarzen Meeres und der Ochotkischen See. Die "Frontstadt" Berlin aber war die Bühne, wo sich die Kontrahenten auf Sichtweite gegenüberstanden. Vielfach wird angenommen, daß die Stationierung von Atomraketen auf Kuba den ersten Versuch einer Dislozierung solcher strategischen Waffen außerhalb des Territoriums der Sowjetunion darstellte. Dies geschah indes schon einige Jahre früher, als Nikita Chruschtschow und Nikolaj Alexandrowitsch Bulganin am 26. März 1955 die Stationierungsweisung Nr. 589-365 für die mit atomaren Sprengköpfen bestückten Mittelstreckenraketen R5-M (NATO Code SS-3) auf Basen in der DDR unterzeichneten. (2) Wegen Verzögerungen bei der Entwicklung der Atomsprengköpfe begannen die Transporte aber erst im September 1958. Trotz intensiver Geheimhaltung - nicht einmal die ostdeutschen Waffenbrüder wurden eingeweiht - gab es bei den umfangreichen Bauarbeiten und Sondertransporten kleinere und größere Pannen. So entdeckten V-Leute des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf den Lastwagen die Aufschrift "Atom", woraufhin der Agent V-16800 die Transportbewegungen3 und der Agent V-9771 die Ankunft des Raketenbataillons 635 der 72. Pionierbrigade in Fürstenberg und Vogelsang in der Uckermark meldeten. Im Mai 1959 waren die Raketenstellungen einsatzbereit. Die Zielplanung richtete sich zum einen gegen die von Amerikanern und Briten gemeinsam betriebenen "Thor"-Raketenstellungen in Norfolk und Lincolnshire, zum anderen gegen die amerikanischen Flugbasen in Westeuropa und die für den Nachschub unerläßlichen Atlantikhäfen. Und nicht zuletzt dienten sie als Drohpotential gegen Paris, London und die Städte des Ruhrgebiets. Völlig überraschend wurden diese Raketen im August 1959 in den Militärbezirk Königsberg zurückverlegt. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Neben ökonomischen und militärischen Erwägungen spricht viel dafür, daß diese Rochade als Entspannungsgeste anläßlich des USA-Besuchs von Chruschtschow im September 1959 gedacht war. Die Forcierung des Raketenprogramms zu immer größeren Reichweiten und gewaltigeren Atomsprengköpfen ging jedenfalls ungehemmt weiter, weshalb die Operation "Atom" immer mehr als eine Vorübung für die spätere Operation "Anadyr" erscheint. (5)

Nach Chruschtschow's Ultimatum 1958, der die Vier-Mächte-Verantwortung für ganz Berlin in den Status einer "Freien Stadt West-Berlin" umwandeln wollte, hatten die drei westlichen Schutzmächte im April 1959 eine trilaterale Botschaftergruppe für Berlin gebildet. Am 05. August 1961 wurde der diplomatische Vertreter der Bundesregierung hinzugezogen und seitdem war es die "3 + 1-Gruppe" oder einfach nur die „Botschaftergruppe.“ (6) Diese Gruppe und ihre verschiedenen Untergruppen berieten angesichts der drohenden Konfrontation über die notwendigen politischen, wirtschaftlichen sowie militärischen Sanktionen und Gegenmaßnahmen. Hierfür wurde beim SACEUR (Supreme Allied Commander Europe) der streng geheime Sonderstab "Live Oak" eingerichtet, der für die militärischen Planungen zuständig war. (7) Das Krisenszenario sah abgestufte militärischer Aktionen besonders im maritimen Bereich, den bewaffneten Durchbruch alliierter Heereseinheiten und -verbände auf den Verbindungswegen nach Berlin, auf dem Territorium der DDR, sowie die Option des Einsatzes nuklearer Waffen vor. Die maritimen Gegenmaßnahmen waren im September 1961 von den Deutschen vorgeschlagen worden, um Gegendruck in weit von Mitteleuropa und Berlin entfernten Gebieten ausüben zu können. Bei SACLANT (Supreme Allied Commander Atlantic) war hierfür der Sonderstab „Sea Spray“ eingerichtet worden. Deren Gegenmaßnahmen sahen verstärkte Seeaufklärung, die Sperrung von Meerengen und Kanälen, und die Verhängung einer Quarantäne oder Seeblockade vor. (8) Die Bundeswehr hatte für diese Planung nur Seestreitkräfte nominiert.

Wie gesagt: diese Pläne waren zum Schutz Berlins vorbereitet worden. Als die Krise dann aber an einem ganz anderen Ort ausbrach, nämlich in Kuba, hätten sie folgerichtig auf die neue Lage übertragen werden müssen. (9) Aber im Herbst 1962 war nicht nur das Heer der Bundeswehr "bedingt abwehrbereit," wie das DER SPIEGEL etwas später berichten würde, sondern auch "die Einsatzbereitschaft der deutschen Flotte entsprach nicht den Erfordernissen". (10) Als Gründe wurden die typischen Aufbauschwierigkeiten wie fehlendes Personal, niedriger Ausbildungsstand, zu häufige Stellenwechsel und unzureichende Ersatzteilversorgung angegeben. Zum Stichtag 1. Oktober 1962 erfüllten zwar auf dem Papier die offensiv einsetzbaren Flotteneinheiten die eher niedrig angesetzten NATO-Einsatzkriterien: 3 Zerstörer der Fletcher-Klasse; 1 Fregatte "Köln"; 37 Schnellboote des 1., 2., 3. und 5. Schnellbootgeschwaders und 18 Marinejagdbomber vom Typ "Seahawk". Die Zahl der wirklich einsatzbereiten Einheiten lag aber erheblich darunter - sie machte nur etwa 60 Prozent des Bestandes aus.

Das 3. Schnellbootgeschwader wurde am 1. Oktober 1959 der NATO einsatzfähig gemeldet. Es war das erste Geschwader, das mit den neu gebauten Schnellbooten der Jaguar-Klasse ausgerüstet wurde. Diese Boote waren mit 4 Torpedorohren und 2 Geschützen Kaliber 40 mm zur See- und Luftzielbekämpfung samt Rundsuchradar besser bewaffnet, seetüchtiger und ausdauernder als frühere Baumuster. Aber nicht nur wegen ihrer konventionellen Bewaffnung, sondern vor allem wegen der fehlenden Systeme für radargesteuerte Feuerleitung und elektronischen Kampf waren sie den sowjetischen Schnellbooten, Zerstörern und Kreuzern mit Flugkörperbewaffnung hoffnungslos unterlegen.

Bild 1: Das Führerboot „Leopard“ im Seegang bei Marschfahrt 30 kn

Diese materielle Unterlegenheit wurde zunächst mit taktischen Aushilfen, intensiver Einsatzausbildung und einem die Kommandeure und Kommandanten auszeichnenden Schneid wettgemacht. Seit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 führten alle Boote ständig zwei Gefechtstorpedos und die Artilleriemunition an Bord mit. Zum 1. Oktober 1961 erfolgte jedoch der Austausch der meist noch kriegsgedienten Kommandanten durch junggediente Kräfte, die in die erst 1956/57 entstandene neue deutsche Marine eingetreten waren. Als Beispiel: der nach Lebensalter jüngste, der Kommandant des "Tiger", war 1957 nach dem Abitur in die Marine eingetreten, hatte 1958 als Kadett seine erste Seereise ins Mittelmeer absolviert, war 1960 als II. Wachoffizier (WO) auf dem "Jaguar" und 1961 als I. WO auf dem "Panther" gefahren. Das Jahr 1962 war von intensiven Gefechts- und NATO-Übungen, aber auch von vielen außergewöhnlichen Ereignissen geprägt, in denen sich die gespannte außen- und innenpolitische Lage widerspiegelte. Im Februar fuhren die Boote "Taktische Nahaufklärung" in der westlichen und mittleren Ostsee. Dabei stießen sie am 7. und 8. Februar auf größere Übungsverbände der sowjetischen Rotbannerflotte und der Volksmarine der DDR östlich von Saßnitz. Während der Flutkatastophe lagen die Boote in Wilhelmshaven, viele Besatzungsangehörige wurden zur Deichsicherung eingesetzt. Nach einem Torpedoschießen im März nahm das Geschwader im Mai an der NATO-Übung "High Jump/Wolf Brun" mit Stützpunkt in Den Helder teil. Schon damals kam es einem vor, als würden die Geleitzugschlachten des 2. Weltkriegs geübt - nur eben 18 Jahre später. Als erstes Zeichen der von Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer besiegelten deutsch-französischen Aussöhnung und Zusammenarbeit besuchte die französische Flotte mit zwei Flugzeugträgern, einem Kreuzer und zwölf Zerstörern vom 27. - 31. Mai 1962 Hamburg. Als deutsche Gastschiffe waren die Zerstörer Z 1 - Z 6, das 1. Schnellbootgeschwader und je zwei Boote des 2. und 5. Schnellbootgeschwaders abgestellt. "Tiger" und "Iltis" waren als "Gastboote" des 3. Schnellbootgeschwaders dabei. Es war ein fröhliches Wochenende, das eine unbelastete Generation junger Seeleute miteinander feierte. Danach übten die Flotteneinheiten vom 1. - 4. Juni 1962 in der Deutschen Bucht. Der tobende Sturm in der Nordsee machte den Zerstörern und Schnellbooten mehr zu schaffen, als die taktischen Finessen während der Übung "Leopard". Nach einem erneuten Torpedoschießen in der Deutschen Bucht verlegte das Geschwader im August zu offiziellen Besuchen nach Cherbourg, Brest und Le Havre. Am 15. Oktober 1962, Punkt 11 Uhr, beginnt mit dem Auslaufen aus dem Heimathafen Flensburg die erneute Einsatzausbildung in der mittleren Ostsee. Stützpunkt ist der Tanker "Frankenland," der in der Köge-Bucht südlich von Kopenhagen vor Anker liegt. Anders als heute, konnten sich allenfalls die Kommandanten über die politische Lage informieren. Wenn der Funker Zeit hatte, meistens aber war das nicht der Fall, konnte er per Tastfunk die "Presse" aufnehmen. Die Tage vergingen im Rhythmus Ausbildung - Essen - Schlafen. Jeder, vom Seemann und Heizer bis zum Kommandanten, war auf seine Funktion fixiert und funktionierte entsprechend. (11)

Was war seitdem aber auf der weltpolitischen Bühne geschehen? Chruschtschow hatte 1961 den neugewählten Präsidenten John F. Kennedy beim Gipfeltreffen in Wien politisch gewogen und für zu leicht befunden. Woraufhin er sich entschloß, entgegen den Status-Quo-Absprachen von Wien, seinen amerikanischen Gegenspieler zu täuschen und die strategische Lage durch die Stationierung von Atomraketen in Kuba zugunsten der Sowjetunion dramatisch zu verändern. Bei seiner politischen Lagebeurteilung benutzte Chruschtschow notgedrungen das, was man seither die "umgekehrte Domino-Theorie" nennt. (12) Denn wollte er das Projekt der entmilitarisierten "Freien Stadt West-Berlin" erneut voranbringen, im Streit mit Peking obsiegen und in der Dritten Welt wieder die Oberhand gewinnen, würden sich, bildlich gesprochen, mit dem Aufstellen des Domino-Steins "Kuba" die gefallenen Domino-Steine wieder aufrichten lassen. Die geplante Machtverschiebung in Kuba selbst sollte durch die Stationierung einer sowjetischen Kampfgruppe unter Führung des Generals Issa Pliev erreicht werden. Die Grundidee war dem sprunghaften, impulsiven und bauernschlauen Chruschtschow im April 1962 gekommen. Am 24. Mai legte der Generalstab dem Parteipräsidium den Plan für die Seelandung auf Kuba vor. Am 10. Juni erfolgte "die volle und einstimmige Zustimmung zu der Operation ‚Anadyr'." Der Auftrag für die sowjetischen Truppen lautete, die Insel zur uneinnehmbaren Festung auszubauen, eine amerikanische Feindlandung in Kuba zu verhindern und die verschiedenen Raketentypen zur Abschreckung einsatzbereit zu machen. 36 Raketen mittlerer Reichweite (etwa 1.800 km, NATO-Kode SS-4), 24 Raketen größerer Reichweite (etwa 3.500 km, NATO-Kode SS-5, die übrigens niemals ankamen), bildeten die strategischen Atomwaffen zur Bedrohung amerikanischer Städte. 6 der 42 IL-28 Bomber und 60 Marschflugkörper konnten als taktische Atomwaffen auf dem möglichen Gefechtsfeld eingesetzt werden. 24 Flugabwehr-Raketenstellungen und Jagdflugzeuge spannten den Schutzschirm über der Insel auf. Zur Beherrschung der See war je ein Geschwader aus U-Booten sowie Kreuzern und Zerstörern mit taktischen, atomar armierten Torpedos und Flugkörpern vorgesehen. Insgesamt sollten ca. 50.000 Soldaten und Techniker im "Hinterhof der USA" stationiert werden. (13)

Mitte Juli begannen die Schiffsverladungen. Am 25. September 1962 waren von den 114 Frachtschiffen und Tankern, die nach Kuba unterwegs waren, schon 94 angekommen. Zusätzliche 35 Schiffe sollten folgen, wobei sämtliche Anladungen auf den 5. November terminiert waren. Selbstverständlich waren Täuschungsmanöver angeordnet worden, angefangen mit dem Abdecken des Großgeräts mit Persenningen. Und selbstverständlich durften die Meeresengen nur des Nachts passiert werden. Aber wie konnte den dänischen, deutschen und türkischen Beobachtern an den Meerengen wie den mächtigen Flotten der Briten und Amerikaner auf dem Atlantik diese Armada von Handelsschiffen entgehen? Diese Armada, die sich wie gesagt aus der Ostsee, dem Schwarzen Meer und dem Ochotkischen Meer nach Kuba bewegte?

Nun, sie ist den Beobachtern auch gar nicht entgangen. (14) Der BND jedenfalls hatte ab Juli 1962 Erkenntnisse aus der DDR-Aufklärung über die Seetransporte nach Kuba und hatte diese ordnungsgemäß der Bundesregierung und über den BND-Residenten in Washington dem CIA (Central Intelligence Agency) gemeldet. Aber, um mit Morgenstern zu sprechen, "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf", wurden die Berichte nicht ernstgenommen, womit wir beim eigentlichen Rätsel wären, das die Geheimdienste und Historiker immer wieder beschäftigen wird, solange sie nicht die Psychologie zu Rate ziehen. Immerhin, am 23. August 1962 hatte John McCone als Direktor des CIA Präsident Kennedy erstmalig über die sich entwickelnde Gefahr der anfangs lediglich als Defensivwaffensysteme eingestuften Raketen auf Kuba informiert. Die Angaben über die sowjetischen Waffenlieferungen nach Kuba stammten dieses Mal aus Berichten kubanischer Flüchtlinge und Agenten - darüber hinaus aber auch aus Quellen der fernmelde-, elektronischen- und Photoaufklärung. Die Ergebnisse der Photoaufklärung wurden zudem mit anderen Erkenntnissen aus der Spionage abgeglichen und verifiziert. Nicht zuletzt der GRU-Offizier Penkovsky hatte dem englischen Geheimdienst MI 6 und der CIA die Nuklear-Strategie der UdSSR, einschließlich technischer Waffendetails, verraten. Diese Informationen waren für die Interpretation der eigenen, technischen Aufklärungsergebnisse von immenser Bedeutung. Sein letzter Bericht datierte vom 27. August. Kurz darauf enttarnte ihn der KGB, woraufhin er 1963 verurteilt und erschossen wurde. (15) Präsident Kennedy äußerte sich erstmalig am 4. September öffentlich über offensive Waffensysteme auf Kuba. (16) Diese Presseverlautbarung hatte den doppelten Zweck, zum einen seine innenpolitischen Gegner und zum anderen Chruschtschow vor Abenteuern zu warnen. Bis dahin hatte Kennedy ja nur über die schon länger bekannten Flugabwehr-Raketen gesprochen, weshalb Chruschtschow glaubte, der sowjetische Aufmarsch der strategischen und taktischen Atomwaffen sei unbemerkt geblieben. Zudem wiegte er sich in Sicherheit, nachdem er während des Sommerurlaubs auf seiner Datscha in Pitsunda die "Anadyr"-Planung in einigen Punkten eigenhändig geändert hatte. (17) So wurde, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, der Einsatz der Flotte aus U-Booten, Kreuzern und Zerstörern zurückgestellt, wie auch die Zusammenstellung der taktischen Atomwaffeneinheiten aus Bombern, Marschflugkörpern und Kurzstreckenraketen des Typs Luna verändert.

Im Oktober 1962 aber konnten weder die Bauernschläue Chrutschows noch die Begriffstutzigkeit der westlichen politischen Apparate verhindern, daß "die Nachrichtendienste dem Präsidenten die Zeit kauften", die er brauchte, um mit seinen Beratern im "Executive Committee" des Nationalen Sicherheitsrats eine wohlüberlegte Planung der „flexiblen Erwiderung“ zu erarbeiten. Am 14. Oktober entdeckt eine Maschine vom Typ des hochfliegenden Aufklärungsflugzeuges U 2 die Raketenstellung in San Cristobal. Am 16. Oktober findet die erste Krisensitzung beim Präsidenten statt. Nun überschlagen sich die Ereignisse. Gleichwohl behält Kennedy "auch in der Hitze des Gefechts seine Nerven" und strahlt auf seine Umgebung Ruhe und Entschlossenheit aus. Vor aller Öffentlichkeit setzt der Präsident wie gewohnt seine Wahlkampagne für die Herbstwahlen fort. Sein Beraterkreis erarbeitet, zum Teil in heftigem Meinungsstreit, im geheimen und von den Medien unentdeckt die fünf möglichen Optionen: Invasion von Kuba, Luftangriffe auf die Raketenstellungen und spätere Landung, eine Seeblockade, Diplomatie und ganz bewusstes Nichts-Tun18. Am 17. Oktober werden zusätzliche sechs U 2-Einsätze geflogen. Die Lagebeurteilung ergibt, daß von den offensichtlich geplanten 24 Raketenstellungen schon 8 Abschußrampen einsatzbereit sind. Am 20. Oktober entscheidet sich Kennedy für die Option der Seeblockade, euphemistisch "Quarantäne" genannt, in Verbindung mit den erforderlichen diplomatischen Maßnahmen. Kritiker haben dies eine überflüssige Krise genannt19. Doch nachher ist gut streiten und so dürfte Friedrich der Große wohl Recht haben mit seiner Einschätzung, daß Diplomatie in Krisensituationen ohne den gezogenen Degen nur Geschwätz ist.

Ab dem 21. Oktober werden Kennedy's Kabinett, die Führer im Kongress und die wichtigsten Verbündeten, nämlich der britische Premier Harold MacMillan, der französische Präsident Charles de Gaulle, der kanadische Premier John Diefenbaker und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich informiert. Nach 17 U 2-Einsätzen ist klar, daß 3 SS-5-Basen mit 12 Abschußrampen, 6 SS-4-Basen mit 24 Abschußrampen, davon 16 einsatzbereiten, existierten. Die nuklearen Sprengköpfe scheinen dagegen noch nicht angekommen zu sein. Am Abend dieses Montags, des 22. Oktobers – in Deutschland ist es bereits Dienstag, 1 Uhr MEZ - spricht Kennedy über Radio und Fernsehen zur Nation und zur Welt. Diese eindringliche, dramatische wie eindrucksvolle Rede ist für den Westen ebenso eine Überraschung, wie für Chruschtschow, der bis zu diesem Augenblick geglaubt hatte, daß sein Coup unentdeckt geblieben sei. Beginnend am 24. Oktober, 11 Uhr Ostküstenzeit, ist die „Quarantäne“ in Kraft. Die Schiffe "Gagarin" und "Komiles" nähern sich der 500 sm-Quarantänegrenze um Kuba, stoppen jedoch vor Erreichen der Linie. US-Außenminister Dean Rusk, der bisher eine eher marginale Rolle gespielt hatte, wird mit dem später sprichwörtlich gewordenen Satz zitiert: "Wir sahen einander ins Weiße des Auges [...], der andere hat gerade gezuckt." Die ersten Nachrichten aus Moskau sprechen ohnmächtig vor Wut von "piraten-ähnlichen Aktionen". Später drehen insgesamt 14 der 22 im Seegebiet vor Kuba befindlichen sowjetischen Schiffe ab.

Am 25. Oktober legen der UN Botschafter Adlai Stevenson und der Berlin-erfahrene John McCloy in einer dramatischen und durch das noch junge Medium Fernsehen in die ganze Welt übertragenen Sitzung des UN-Sicherheitsrats die Beweise für den Aufbau der Raketenstellungen in San Cristobal und Guanajay vor. Zum ersten Mal werden Ergebnisse der Photoaufklärung durch U 2-Flugzeuge und die gerade erst einsatzfähig gewordenen Discoverer-Satelliten der Öffentlichkeit zugänglich. Hiermit wird gleichzeitig die eindeutige amerikanische Überlegenheit bei der technischen Aufklärung demonstriert.

Der 26. Oktober ist der Tag der Geheimdiplomatie. Der amerikanische Vorschlag lautet, die territoriale Integrität Kubas zu respektieren, oder anders ausgedrückt, keine Invasion zu planen, wenn die Atomraketen abgezogen werden. Chruschtschow antwortet in einem sehr persönlichen wie verworrenen Brief, daß er auf das Angebot eingehen werde. In seiner plastischen Sprache benutzt er die Allegorie des "Kriegsknotens" und stellt fest, "je mehr wir beide ziehen, desto enger wird der Knoten". In Washington findet an diesem Freitag ein geheimes Treffen zwischen dem sowjetischen Botschafter Anatoly Dobrynin und dem Bruder des Präsidenten, Justizminister Robert F. Kennedy, statt, in dem dieser die amerikanische Doppelstrategie verdeutlicht. Er verspricht die Garantie der Integrität Kubas und verlangt den Abzug der Atomraketen. Gleichzeitig bietet er den Abzug der in der Türkei und Italien stationierten "Jupiter"-Raketen zu einem späteren Zeitpunkt und unabhängig von der Einigung im ersten Punkt an. (20)

Durch eine Vorabmeldung der Presseagenturen wird am 27. Oktober der zweite Brief Chruschtschow's bekannt, der nun den Tauschhandel öffentlich vorschlägt. In Kuba sollen die sowjetischen, in der Türkei und Italien die NATO-Raketen abgebaut werden. Kennedy beantwortet nur den ersten Brief Chruschtschow's und geht auf das Angebot des zweiten Briefs nicht ein. Trotz des Abschusses einer U 2 über Kuba bleibt Kennedy bei seiner Linie und untersagt den für einen solchen Fall eigentlich vorgesehenen Gegenangriff. Am 28. Oktober geht die alle erleichternde Antwort Chruschtschow's ein, daß die Raketen von Kuba abgezogen würden.

Wie vereinbart, wird am 30. Oktober im Gegenzug die Planung für die Invasion Kubas und damit auch für die Operation "Mongoose" vom Nationalen Sicherheitsrat für beendet erklärt. Das drohende Armageddon ist abgewendet. Was geschah nun aber in der Bundesrepublik Deutschland, während die Supermächte mit Atomraketen pokerten? "Von der Kuba-Krise wird Adenauer genauso überrascht, wie die gesamte deutsche Öffentlichkeit", so urteilt sein Biograph Hans-Peter Schwarz.
Am 22. Oktober, 19.15 Uhr, wird Adenauer durch den US-Botschafter Walter Dowling und den CIA-Direktor R. Jack Smith über die Lage und die Absichten der USA informiert. Adenauer sagt den Emissären Kennedy's seine uneingeschränkte Unterstützung zu. Am nächsten Tag richtet Adenauer "in aller Form eine Botschaft an Kennedy, in der er dessen Vorgehen vorbehaltlos billigt." (21)

Am 24. Oktober tagt der Bundesverteidigungsrat und läßt routinemäßige Krisenmaßnahmen anlaufen. Eine realistische Vorbereitung auf den drohenden und möglichen Krieg findet jedoch nicht statt. Und obwohl es offensichtlich war, daß bei einer kriegerischen Konfrontation der Supermächte die NATO-Bündnispartner nicht abseits stehen würden, und obwohl Adenauer sehr entschieden hinter den Maßnahmen Kennedy's steht, ist eine politische Führung, die die Bevölkerung auf den Ernstfall vorbereitet hätte, nicht erkennbar. Die Stimmung in der Bevölkerung ist inzwischen gedrückt. In Schleswig-Holstein kommt es zu "Fluchtbewegungen" auf den Straßen nach Norden, in das vermeintlich weniger gefährdete Dänemark. Auf der Bonner Hardthöhe im Bundesministerium der Verteidigung erscheinen zivile Mitarbeiter nicht zum Dienst, Soldaten melden sich krank. Trotzdem findet sich im Militärischen Tagebuch (MTB) des Flottenkommandos nicht ein einziger Eintrag über die Kuba-Krise. (22) Offensichtlich waren die vom Bundesverteidigungsrat beschlossenen Krisenmaßnahmen beim Befehlshaber der deutschen Flotte nicht angekommen. Im MTB der Schnellbootsflottille ist als einzige Maßnahme verzeichnet, daß im Kommandobereich der Wochenendurlaub am 27./28. Oktober eingeschränkt wurde. In beiden Tagebüchern fehlen die Beschreibung und die Beurteilung der Lage. Die spärlichen Informationen wegen der bis Ende 2002 immer noch verschlossenen Archive lassen keine genauere Bewertung zu, wie die Bundeswehr und die Bundesmarine die militärische Lage beurteilte. (23) Die wenigen Indizien erlauben allerdings zweifelsfrei den Schluß, daß die Verantwortlichen den Kopf in den Sand gesteckt haben. Die Süddeutsche Zeitung stellt fest, daß in Deutschland "die größte Gruppe wohl mit einer gewissen Dickfelligkeit an der Krise vorbeigelebt haben dürfte." (24)

Das 3. Schnellbootgeschwader mit seinen acht Booten und dem Tanker befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Ostsee. Wegen des drohenden Krieges und ohne Befehle seiner Vorgesetzten entschließt sich der Kommandeur, Fregattenkapitän "Charly" Künzel, am 24. Oktober den Rückmarsch nach Flensburg anzutreten. Die Befehlslage bleibt unklar. Die anderen Kommandeure führen ihre gerade laufenden Aufgaben - "Taktische Nahaufklärung" in der westlichen Ostsee, Torpedoschießen im Kattegat oder Hafenliegezeit - fort. Der Kommandeur des 3. Schnellbootgeschwaders, "läßt nichts anbrennen" und befiehlt die kriegsmäßige Ausrüstung seiner Boote.

Am 27. Oktober ist Befehlsausgabe, am Sonntag, den 28. Oktober, 10.20 Uhr, laufen die acht Boote wieder gen Osten aus. Während der Motoren-Standprobe und den Besatzungsmusterungen stehen die Angehörigen hinter dem nahen Zaun des Stützpunktes und winken zum ungewissen Abschied. Nach dem Auslaufen machen sich die Kommandanten und die "Torpedomixer" mit dem schulmäßigen Einsetzen der Gefechtspistolen in die Torpedos vertraut. Ankerplatz ist erneut die Köge-Bucht, diesmal längsseits des Tankers "Claire Jung." Auf der einen Seite wird routinemäßig die taktische Ausbildung fortgesetzt, als ob nichts geschehen wäre, auf der anderen Seite lastet über allem die Ungewißheit der drohenden Kriegsgefahr. Als willkommene Abwechslung wird am 1. und 3. November im Hafen von Köge Frischwasser übernommen und beim Bäcker Brötchen eingekauft. Währenddessen brütet der Kommandeur in seiner Kammer über dem Problem, wohin er den Tanker im Gefechtsfalle ordern soll. Auf der einen Seite muß der unbewaffnete Tanker so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone herauskommen, um sich in der dänischen Inselwelt verstecken zu können. Auf der anderen Seite muß er in der Nähe sein, um für die täglich erforderliche Brennstoffübernahme der Boote bereitzustehen.

Am 29. Oktober endlich löst sich die Spannung, als in der "Funkpresse" gemeldet wird, Chruschtschow habe am Vortag den Abzug der Raketen aus Kuba befohlen


Bild 2: Im Vordergrund das Schnellboot „Panther“ des 3. Schnellbootgeschwaders, dahinter der Kotlin-Zerstörerer der Kotlin-Zerstörer

In kompletter Umkehrung der Verhältnisse wird am 2. November in einer Aufklärungsmeldung das Einlaufen eines sowjetischen Verbands in die Ostsee angekündigt. Er besteht aus einem "Kynda"-Kreuzer, dem damals modernsten, mit mächtigen Raketen bestückten Schiff der Rotbannerflotte, und einem "Kotlin"-Zerstörer. Nun kommt es doch noch zum Einsatz, wenngleich alle froh sind, daß es nur ein photographischer Einsatz werden wird. Am 3. November, 14.25 - 14.43 Uhr, wird der Kynda/Kotlin-Verband westlich von Gedser Rev durch die Schnellboote "Leopard", "Iltis" und "Panther" aufgeklärt und photographisch erfaßt. Für die NATO sind dies die ersten gut auswertbaren Nahaufnahmen des neuartigen Kreuzer-Typs der sowjetischen Flotte. Beinahe kommt es zu einem Zwischenfall, als die Schnellboote versuchen, so nah wie möglich für die Kameras in "Schußposition" zu kommen. Der Kotlin-Zerstörer versucht die wendigen Boote abzudrängen. Als dies nicht gelingen will, ergibt auch er sich in sein Schicksal, aus allen Winkeln photographiert zu werden. (25)

Am 5. November erfolgt der Rückmarsch nach Flensburg. Auch für das 3. Schnellbootgeschwader ist nun die Kuba-Krise und der erste "Kriegseinsatz ohne scharfen Schuß" beendet.

Am 6. November finden in den USA die Kongreßwahlen statt, Kennedy gewinnt die Mehrheit in beiden Häusern, während sich in Bonn der Deutsche Bundestag in öffentlicher Debatte mit der "Spiegel-Affäre" auseinandersetzen muß, die bald zur "Spiegel-Krise" der Regierung wird und die Kuba-Krise in den Schatten stellt.


Bild 3: Der Kreuzer der Kynda-Klasse mit seiner mächtigen Raketenbewaffnung


Am 10. Oktober war DER SPIEGEL mit der Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" erschienen, die vordergründig auf die Atombewaffnungs-Politik von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß zielte, aber in Wahrheit den Bundeskanzler meinte. Adenauer übersteht die Regierungskrise nur kurzfristig. Die Verhaftung von Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und seinem Chefredakteur Conrad Ahlers, der unter Bundeskanzler Willy Brandt als Staatssekretär das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung leiten wird, und die Umstände bei der vorangegangenen polizeilichen Durchsuchung der Hamburger Redaktionsräume am 16. und 17. Oktober empört die Republik. Adenauer sieht sich gezwungen, erst seinen Verteidigungsminister zu opfern, um dann selbst im Oktober 1963 auf die so geliebte Macht zu verzichten. Präsident Kennedy wird einen Monat darauf ermordet und Chruschtschow wiederum stürzt ein knappes Jahr später, nämlich im Oktober 1964. Nur Fidel Castro bleibt übrig. Er aber überlebt sich bekanntlich selbst.

Summa summarum: die Kuba-Krise bleibt ein Lehrstück über die rationale Bewältigung einer aussichtslos erscheinenden Konfrontation. Chruschtschow befreite sich aus einer für ihn hoffnungslosen militärischen Situation. Eine amerikanische Invasion Kubas hätte schließlich schon damals den Zusammenbruch des revolutionären Anspruchs der UdSSR in der Welt bedeutet. Darüber hinaus wäre offenbar geworden, daß die UdSSR weder die konventionelle militärische Überlegenheit in der Karibik, noch die strategische in der übrigen Welt besaß. Kennedy's Politik war ein Triumph der später so bezeichneten Strategie der "flexible response." (26) Er bewältigte die Krise mit diplomatischen Mitteln, nachdem die militärischen Vorbereitungen die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Politik geschaffen hatten.27 Anders gesagt: ohne die glaubhafte Drohung mit militärischer Macht hätte die Diplomatie nur die Wirkung einer belanglosen Predigt gehabt. Die Bundesrepublik Deutschland aber, wegen der doch überhaupt die Krise ausgebrochen war, blieb trotz großzügiger Hilfsangebote ihres amerikanischen Verbündeten untätig. Statt nun endlich Vorbereitungen für den möglichen Ernstfall zu treffen, sich zumindest der vom SPIEGEL aufgedeckten mangelhaften Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr zu stellen, erging man sich in Bonn in innenpolitischen Streitereien über die "Spiegel-Affäre" wie die Kanzlernachfolge. Nicht minder entbrannten die außenpolitischen Streitereien zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten,“ während die Bevölkerung an der Krise vorbeilebte und noch entschiedener den Rückzug ins Private antrat.


Literaturverzeichnis:

Bundesarchiv (BA) Koblenz:
B 206/114 Standortkartei der Militärischen Auswertung des BND: Bericht E 14136, September 1959 und Bericht E 21235, Januar 1959

Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg:
BW 2-2460 Kapitel V.1: Zusammenfassendes Urteil über die Einsatzbereitschaft des Bereich Kommando der Flotte, Zustandsbericht der Bundeswehr Nr. 2/62
BM 1/1261 Militärisches Tagebuch (MTB) Flottenkommando
BM 21 I, 2264-2268 Schiffstagebuch (STB), Schnellboot „Tiger“
BM 21 I/8014 STB, Schnellboot “Leopard”

Bücher und Zeitschriftenartikel:
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Andrew, Christopher, For the President's Eyes Only (London: Harper Collins Publishers, 1995)
Dorril, Stephen, MI 6: Inside the Covert World of Her Majesty's Secret Intelligence Service (New York: The Free Press, 2000)
Fursenko, Aleksandr, Naftali, Timothy, The Pitsunda Decision: Krushchev and Nuclear
Weapons, abgedruckt im Bulletin No. 10 des Cold War International History Project (CWIHP)
(Washington, DC: Woodrow Wilson International Center for Scholars, March 1998)
Kennedy, John F., Presseverlautbarung des Präsidenten über sowjetische militärische Lieferungen an Kuba vom 04. September 1962 (New York Times, 5. September 1962)
Kennedy, Robert F., Thirteen Days - A memoir of the Cuban missile crisis (New York: W. W. Norton, 1969)
Maloney, Sean M., Notfallplanung für Berlin. Vorläufer der Flexible Response 1958-1963,
(Militärgeschichte 7, Heft 1, 1997)
May, Ernest R., Zelikov, Philip D. (editors), The Kennedy Tapes – Inside The White House
During The Cuban Missile Crisis (New York: W. W. Norton, 2001/2002)
Pedlow, Gregory W., Allied Crisis Management for Berlin. The “Live Oak” Organization, 1959-
1963, in: Proceedings of the International Conference on Cold War Military Records and History, held in Washington, D.C., 21-26 March 1994, ed. by William W. Epley (Washington DC, 1996)
Reuters vom 29.11.2002
Schlesinger, Arthur M., Robert Kennedy and His Times (New York: Ballantine Books, 1978/1979)
Schwarz, H. P., Adenauer - Der Staatsmann 1952 - 1967 (Stuttgart: DVA, 1991)
Süddeutsche Zeitung vom 27.10.1962
Uhl, Matthias, Ivkin, Vladimir I., Operation "Atom", abgedruckt im Bulletin No. 12/13 des CWIHP (Washington, DC: Woodrow Wilson International Center for Scholars, 2001)
Zentralkomitee der KPdSU und des Ministerrats der Sowjet-Union, Entscheidung des [...], abgedruckt in: Pervoe raketnoe soedinenie voornzennyeh sil strany: Voenno - istoricesky ocerk
(Moskau: CIPK, 1996)

Autoren-Kurzbiographie:

Dr. Sigurd Hess ist Konteradmiral a.D. und hat im Oktober 1962 als Kommandant des Schnellboots „Tiger“ an den Operationen in der Ostsee teilgenommen. Er studierte Elektrotechnik, Mathematik und Physik an der Naval Postgraduate School, Monterey, Calif. und schloß sein Studium 1970 mit einem Ph.D. in „Information and Control Systems“ ab. Nach seinen Verwendungen auf See absolvierte er Stabsstellungen beim Befehlshaber der Flotte, im Bundesministerium der Verteidigung und beim Supreme Allied Commander Europe. Er wurde Er wurde 1998 als Chef des Stabes des NATO-Hauptquartiers Ostseezugänge in Karup/Dänemark pensioniert. Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien am 26. 10. 2002 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „In Bester Schußposition.“ Andere Veröffentlichungen des Autors behandeln sicherheitspolitische, historische und naturwissenschaftliche Themen, z.B.

The British Baltic Fishery Protection Service and the Clandestine Operations of Hans Helmut Klose, 1949-1956

(The International Journal of Intelligence History, Vol. 1, No. 2, 2002, S. 169- 178, erweiterte deutsche Version in: Marineforum 3-2001, S. 21--25 und 4-2001, S. 29--32)

Marineführungssysteme-Von der Löschfunkentelegrafie zum MHQ, in: Die Deutsche Marine-Historisches Selbstverständnis und Standortbestimmung (Herford: E. S. Mittler & Sohn, 1983, S. 315--336)

Die Bedeutung der Bundeswehr in einem neuen Europa, in: Europäische Friedenssicherung im Umbruch, hrsg. Andreas M. Rauch (München: Verlag für Wehrwissenschaften, 1991, S. 168-180)

Information Security and Protection of Critical Infrastructure (European Security and Defence, No. 2, 2002, S. 23--27, deutsche Version in: Europäische Sicherheit, No. 2, 2003)

1 Rede von Präsident John F. Kennedy, gehalten am 22.Oktober 1962, abgedruckt in: Robert F. Kennedy, S. 170--171
2 Entscheidung des Zentralkomitees der KPdSU und des Ministerrats der Sowjet-Union, abgedruckt in: Pervoe raketnoe soedinenie voornzennyeh sil strany: Voenno - istoricesky ocerk , S. 208--209
3 Bundesarchiv (BA), Standortkartei der Militärischen Auswertung des BND: Bericht E 14136, September 1959, S. 20
4 ebenda, Bericht E 21235, Januar 1959, S. 6
5 Weitere Einzelheiten finden sich bei Matthias Uhl, Vladimir I. Ivkin, S. 299--306
6 "Live Oak" ("Lebende Eiche") war dem SACEUR unterstellt, bildete jedoch keinen Teil seines NATOMilitärstabes. Bis 1987 war selbst der Name "Live Oak" als Verschlußsache eingestuft. Heute arbeiten in dem Gebäude die Mitglieder des Stabes "Partnerschaft für den Frieden." Davor befindet sich ein Mahnmal aus Resten der Berliner Mauer, zusammen mit den Flaggen der Schutzmächte USA, Frankreich und Großbritannien, sowie Deutschlands.
7 Gregory W. Pedlow, S. 87--116
8 Die Akten über die Vorbereitungen von "Live Oak" sind weiterhin in den Archiven verschlossen und sollen erst 2005 freigegeben werden. Ein Teil der Darstellung stützt sich auf persönliche Kenntnisse des Autors und mündliche Äußerungen von Zeitzeugen.
9 Sean M. Maloney, S. 3--15
10 Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA), Kapitel V.1: Zusammenfassendes Urteil über die Einsatzbereitschaft des Bereich Kommando der Flotte, Zustandsbericht der Bundeswehr Nr. 2/62
11 Schiffstagebuch (STB) Tiger, BA/MA BM21 I, 2264--2268
12 Christopher Andrew, S. 280--301
13 Einsatzbefehl für Operation "Anadyr," abgedruckt in: New Evidence on the Cuban Missile Crisis, Internet-Adresse: www.cwihp.si.edu, abgerufen am 21. Juli 2002
14 Reuters vom 29.11.2002
15 Stephen Dorril, S. 704--708
16 Präsident Kennedy's Presseverlautbarung über sowjetische militärische Lieferungen an Kuba vom 04. September 1962 (New York Times, 5. September 1962)
17 Aleksandr Fursenko, Timothy Naftali, S. 223--225
18 Christopher Andrew, ebenda
19 Arthur M. Schlesinger, S. 537 ff
20 Arthur M. Schlesinger, ebenda
21 H. P. Schwarz, S. 770--773
22 MTB Flottenkdo, BA-MA, BM1/1261
23 Vor kurzem wurden die Akten zur Kubakrise im Militärarchiv auf „offen“ herabgestuft und stehen nun für eine Auswertung zur Verfügung. Dies gilt jedoch nicht für die Akten des Bundeskanzleramtes, hier die Sitzungsprotokolle des Bundesverteidigungsrates oder die Akten des Bundesnachrichtendienstes
24 Süddeutsche Zeitung vom 27.10.1962
25 STB Leopard, BA-MA, BM21 I/8014
26 Die Entwicklung der Strategie „der vorbedachten Eskalation“ („flexible response“ der MC 14/3) in der NATO ist
eng mit der Entwicklung der Eventualpläne für Berlin durch „Live Oak“ verbunden. Als offizielle NATO-Strategie
löste sie 1967 die starre Strategie der „massiven Erwiderung“ („massive retaliation“ der MC 14/ 2) ab
27 Ernest R. May, Philip D. Zelikow (editors), S. 411-414